Die ISPA hat sich bereits beim Internet Summit Austria 2021 dem aktuellen Thema der digitalen Barrierefreiheit gewidmet. Beim ISPA-Forum 2025 greift sie das Thema erneut auf und diskutiert die konkrete Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/882 („European Accessibility Act“) Die Richtlinie zielt darauf ab, zukünftig die Barrierefreiheit in zahlreichen Bereichen verstärkt zu fördern bzw. zu fordern.
Das Barrierefreiheitsgesetz (BaFG)
Barrierefreies Webdesign/Kriterien
FAQ Barrierefreiheitsgesetz (PDF Auszug aus ISPA News 01/25)
Am 28.06.2025 tritt das Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) in Kraft.
Ab diesem Datum müssen alle relevanten Vorschriften beachtet werden. Für die betroffenen Unternehmen sind jedoch Übergangsfristen (§ 37 BaFG) festgelegt, die den Wirtschaftsakteuren einen Puffer für die regelkonforme Umsetzung verschaffen sollen:
Dienstleistungserbringer dürfen ihre Dienstleistungen bis zum 28.06.2030 weiterhin mit Produkten anbieten, die sie bereits vor dem 28.06.2025 zur Erbringung ähnlicher Dienstleistungen rechtmäßig genutzt haben. Darüber hinaus dürfen bereits vor diesem Datum vereinbarte Dienstleistungsverträge weiterhin bis zu ihrem Ablauf, jedoch höchstens fünf Jahre nach dem 28.06.2025, unverändert fortgeführt werden.
Selbstbedienungsterminals, die vor dem 28.06.2025 rechtmäßig genutzt wurden, dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, nicht aber länger als 20 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme und maximal bis zum 28.06.2040 weiterhin für vergleichbare Dienstleistungen eingesetzt werden.
Wer ist zur Umsetzung verpflichtet?
Zur Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen werden Wirtschaftsakteure verpflichtet. Darunter versteht man Hersteller, Bevollmächtigte, Importeure, Händler und Dienstleistungserbringer.
Das BaFG sieht lediglich eine Ausnahme für Kleinstunternehmen vor, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen. Unternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte haben und entweder einen Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro aufweisen, sind also von den Anforderungen des Barrierefreiheitsgesetzes befreit.
Wichtig zu beachten ist jedoch, dass Kleinstunternehmen, die Produkte innerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes herstellen, importieren oder vertreiben, nicht von dieser Ausnahmeregelung umfasst sind.
Die Anorderungen basieren auf den Kriterien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Unter diesen ist folgendes zu verstehen:
Die Informationen und Komponenten der Nutzerschnittstelle müssen den Nutzer:innen in einer Weise dargestellt werden, die sie gut wahrnehmen können.
Beispiele:
Texte sollten leicht lesbar sein. Ermöglicht wird dies durch eine angemessene bzw. anpassbare Schriftgröße und -form, einen guten Kontrast zwischen Vorder- & Hintergrund und ausreichenden Zeilenabständen.
Jeder relevante nicht-textliche Inhalt (z.B. Bilder) sollte auch als Text zur Verfügung stehen. So können Benutzer:innen den Inhalt über alternative Kanäle (z.B. Screenreader) ausgeben lassen. Bei Bildern kann dies etwa durch eine Beschreibung des Bildes im HTML-Tag (alt=“…“) erfolgen. Bei Audio-Dateien sollte ein Transkript verlinkt und Videoinhalte sollten Untertitel enthalten.
Der Seitentitel sollte prägnant und leicht verständlich zusammenfassen, welche Inhalte auf der Seite zu finden sind.
Der:Die Nutzer:in muss die Komponenten der Nutzerschnittstelle und die Navigation handhaben können.
Beispiele:
Die Website sollte möglichst vollständig über Tastatureingaben bedienbar sein.
Bei Navigation mittels Tastatur sollte es keine Sackgassen geben, d.h. der Fokus der Tastatur sollte an jeder Position der Website mittels Pfeil- oder Tabulatortasten verändert werden können.
Links sollten in ihrem Text eine kurze Beschreibung des verlinkten Inhalts aufweisen (nicht lediglich: „hier“).
Längere Texte sollten mit Abschnittsüberschriften gegliedert werden.
Um starken, körperlichen Reaktionen wie Anfällen vorzubeugen, sollten blitzende Inhalte vermieden werden.
Die Informationen und die Handhabung der Benutzerschnittstelle müssen verständlich sein.
Beispiele:
Die Verwendung verständlicher, einfacher Sprache. Wenn komplexe Formulierungen gewollt sind, sollte eine vereinfachte Version abrufbar sein.
Erklärungen für Fachbegriffe und Abkürzungen
Die Funktion der Website sollte vorhersehbar sein, indem z.B. Menü-Elemente stets in identischer Reihenfolge dargestellt werden.
Die Inhalte müssen robust genug sein, damit sie zuverlässig von einer Vielfalt von Benutzeragenten, einschließlich assistiver Technologien, interpretiert werden können. Textformate müssen sich also zum Generieren alternativer assistiver Formate (z.B. Screenreader, Braille-Übersetzung, etc) eignen. Dies wird insbesondere dadurch erreicht, dass der verwendete Quellcode valide ist, also den formalen Standards entspricht. Dies kann Online validiert werden.
Einen kurzen Überblick dazu bietet auch unser Flyer “Digitale Barrierefreiheit”.
Für die konkreten Produkte, Produkte ohne Selbstbestimmungsterminals, Dienstleitungen und bestimmte Dienstleistungen gelten folgende Anforderungen:
Das BaFG enthält eine klare Ansage: Produkte sind so zu gestalten und herzustellen, dass ihre vorhersehbare Nutzung durch Menschen mit Behinderung maximiert wird. Sie sind möglichst auf dem Produkt selbst mit barrierefrei zugänglichen Informationen zu ihrer Funktionsweise und ihren Barrierefreiheitsfunktionen auszustatten.
Es werden Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen (auf dem Produkt selbst oder Online), an die Gestaltung der Benutzerschnittstelle sowie für eingerichtete Unterstützungsdienste normiert.
Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen am Produkt selbst
Zurverfügungstellung über mindestens 2 sensorische Kanäle
Bereitstellung in verständlicher Sprache.
In angemessener Schriftgröße, -form, mit ausreichendem Kontrast & Abstand, sodass die Darstellung für Nutzer:innen wahrnehmbar ist.
Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen auf der Website
Öffentliche Verfügbarkeit bereits ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts
Zurverfügungstellung über mindestens 2 sensorische Kanäle
Verständliche, wahrnehmbare und robuste Darstellung
Beschreibung der Benutzerschnittstelle, Funktionalität, Soft- und Hardware-Schnittstelle
Die Benutzerschnittstelle muss so gestaltet sein, dass der Zugriff und die Verwendung des Produkts für Menschen mit Behinderung möglich sind. Je nach Bestandteil/Funktion des Produkts müssen dafür folgende Anforderungen erfüllt werden:
Bestandteil/Funktion des Produkts | Barrierefreiheitsanforderung |
Produkt ermöglicht Kommunikation | 2 sensorische Kanäle |
Produkt verwendet gesprochene Sprache | Alternativen zur stimmlichen Eingabe |
Produkt verwendet visuelle Elemente | flexible Einstellung von Größe, Helligkeit und Kontrast |
Produkt informiert mittels Farben | Alternativen zu Farbinformationen |
Produkt informiert mittels hörbarer Signale | Alternative zu hörbaren Signalen |
Produkt verwendet visuelle Elemente | flexible Möglichkeiten zur Verbesserung der visuellen Schärfe |
Produkt enthält Audio-Elemente | Lautstärken- & Geschwindigkeitsregelung und erweiterte Audiofunktionen |
Produkt muss manuell bedient und gesteuert werden | Alternativen zur feinmotorischen Steuerung |
Bedienungsformen, die eine große Kraftanstrengung erfordern sind zu vermeiden
Das Auslösen fotosensitiver Anfälle ist zu vermeiden
Schutz der Privatsphäre bei der Nutzung der Barrierefreiheitsfunktionen
Bereitstellung von Alternativen zur Nutzung biometrischer Identifizierung und Steuerung
Ausreichend Zeit für Interaktionen
Produkt muss Software und Hardware für Schnittstellen zu den assistiven Technologien aufweisen
Erfüllung der branchenspezifischen Anforderungen
Auch Unterstützungsdienste wie Helpdesks oder Call-Center müssen Informationen zur Barrierefreiheit des Produkts und seiner Kompatibilität mit Hilfstechnologien auf barrierefreie Weise bereitstellen.
Zusätzlich zu den Barrierefreiheitsanforderungen für alle Produkte (siehe oben) sind folgende Barrierefreiheitsanforderungen vorgesehen:
Die Produktverpackung und entsprechenden Informationen darauf, wie etwa solche über das Öffnen, Schließen und die Entsorgung, sowie Informationen über die Barrierefreiheitsmerkmale müssen barrierefrei sein.
Anleitungen für Installation, Wartung, Lagerung und Entsorgung, die nicht auf dem Produkt angebracht sind, müssen folgende Anforderungen erfüllen:
Öffentliche Verfügbarkeit bereits ab dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts
Zurverfügungstellung über mindestens 2 sensorische Kanäle
Verständliche, wahrnehmbare und robuste Darstellung
Dienstleistungen, die unter den Anwendungsbereich des BaFG fallen, sollen so erbracht werden, dass ihre vorhersehbare Nutzung durch Menschen mit Behinderungen maximiert wird. Insbesondere werden Barrierefreiheitsanforderungen an die im Zusammenhang mit einer Dienstleistung verwendeten Produkte, die Bereitstellung von Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung, die Websites und zugehörigen Online-Anwendungen sowie die Unterstützungsdienste festgelegt.
Produkte zur Erbringung von Dienstleistungen müssen barrierefrei sein. Die Anforderungen dafür siehe oben.
Die Bereitstellung von Informationen über die Funktionsweise der Dienstleistung, sowie die Informationen über deren Verbindung zu Produkten, deren Barrierefreiheitsmerkmale und Interoperabilität mit Hilfsmitteln (soweit Produkte verwendet werden) müssen folgenden Anforderungen entsprechen.
Zurverfügungstellung über mindestens 2 sensorische Kanäle
Verständliche, wahrnehmbare und robuste Darstellung
Erforderliche elektronische Informationen für die Erbringung der DL werden so bereitgestellt, dass sie wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sind.
Websites inkl. zugehöriger Online-Anwendungen und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (einschließlich mobiler Apps) müssen folgenden Anforderungen entsprechen:
wahrnehmbare, bedienbare, verständliche und robuste Gestaltung
Unterstützungsdienste wie Helpdesks oder Call-Center müssen Informationen zur Barrierefreiheit des Produkts und seiner Kompatibilität mit Hilfstechnologien auf barrierefreie Weise bereitstellen.
Dienstleistung | Zustätzliche Barrierefreiheitsanforderung |
elektronische Kommunikationsdienste |
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Dienste, die Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen |
|
Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce) |
|
Das BaFG enthält vor allem abstrakte Vorgaben zu den verpflichtenden Barrierefreiheitsanforderungen. Die praktische Ausgestaltung dieser Anforderungen liegt in der Verantwortung der jeweiligen Unternehmer. Zur Auslegung der Barrierefreiheitsanforderungen können insbesondere die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortium (W3C), in der jeweils aktuellen Version (derzeit Version 2.2), herangezogen werden. Auch die EN 301 549 (Europäische Norm zu "Accessibility requirements for ICT products and services") kann, dort wo sie nicht bereits aufgrund der Aufnahme in innerstaatliches Recht rechtlich verbindlich ist, als Orientierungshilfe dienen. Bislang sind die genannten Leitlinien und Normen (außer für öffentliche Stellen) nicht rechtsverbindlich.
Den erläuternden Bemerkungen des BaFG lässt sich entnehmen, dass die Europäische Kommission bereits europäische Normungsorganisationen mit der Ausarbeitung neuer und der Überarbeitung bestehender harmonisierter Normen beauftrag hat. Diese harmonisierten Normen sollen die Barrierefreiheitsanforderungen weiter konkretisieren und ihre Anwendung erleichtern. Laut Schätzung der für die Vollziehung des Barrierefreiheitsgesetzes zuständige Behörde (Sozialministeriumservice) ist 2027 mit deren Fertigstellung zu rechnen.
Im Zusammenhang mit der Verwendung von technischen Tools, welche die Anforderungen an die Barrierefreiheit einer automatisierten Überprüfung unterziehen, wird stets empfohlen, eine eigenständige Überprüfung bzw. Kontrolle durch einen Menschen durchzuführen.
Das Barrierefreiheitsgesetz sieht keine Schwellenwerte für die Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen vor. Das bedeutet folglich, dass auch eine kleine Abweichung von den Barrierefreiheitsanforderungen laut BaFG eine Nicht-Konformität darstellt.
Zum einen kann eine Abweichung gem. § 17 insoweit gerechtfertigt sein, als deren Einhaltung eine wesentliche Änderung des Produkts oder der Dienstleistung erfordert, die zu einer grundlegenden Veränderung der Wesensmerkmale führt. Davon ist auszugehen, wenn der ursprüngliche, intendierte Zweck des Produkts oder der Dienstleistung nicht mehr erreicht wird.
Andererseits kann eine Abweichung gem. § 18 insoweit gerechtfertigt sein, als deren Einhaltung zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Wirtschaftsakteure führt. Die Beurteilung, ob die Einhaltung nach vernünftigem Ermessen möglich wäre, hat anhand der Kriterien in Anlage 4 des BaFG zu erfolgen, z.B. übermäßig hohe finanzielle oder organisatorische Belastungen können daher ein Abweichen vom vollumfänglichen Anwenden der Anforderungen rechtfertigen. Dies gilt jedoch nicht, wenn fremde öffentliche oder Private Mittel zur Verbesserung der Barrierefreiheit erhalten wurden.
In beiden Fällen besteht eine Dokumentations- und 5-jährige Aufbewahrungspflicht. Auf Verlangen des Sozialministeriumservice ist eine Kopie der Beurteilung vorzulegen. Eine erneute Beurteilung ist im Falle des § 18 bei Dienstleistungserbringern mindestens alle 5 Jahre vorzunehmen, früher schon auf Verlangen des Sozialministeriumservice oder bei Änderung der Dienstleistung.
Die Strafhöhe richtet sich nach dem Umfang des Verstoßes und der Größe des Unternehmens. Der niedrigere Betrag gilt jeweils für Kleinstunternehmen (<10 Beschäftigte und entweder max. 2 Mio. € Jahresumsatz oder max. 2 Mio. € Jahresbilanzsumme) sowie für kleine und mittlere Unternehmen (< 250 Beschäftigte und entweder max. 50 Mio. € Jahresumsatz oder max. 43 Mio. € Jahresbilanzsumme).
Bei Inverkehrbringen eines Produkts oder Bereitstellen/Erbringen einer Dienstleistung, welche(s) nicht den Barrierefreiheitsanforderungen gem. § 4 (2) bzw. (3) entspricht, droht eine Geldstrafe bis zu 50.000€ bzw. 80.000€.
Bei fehlendem oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Konformitätsverfahren, fehlendem Identifikationskennzeichen des Produktes, fehlender Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen oder bei Nichtergreifen erforderlicher Korrekturmaßnahmen droht eine Geldstrafe bis zu 25.000€ bzw. 40.000€.
Bei Nichtbefolgung der Aufbewahrungspflicht, Unterlassung notwendiger Informationsübermittlung an das Sozialministeriumservice oder fehlender Kooperation mit der Behörde, etc. droht eine Geldstrafe bis zu 10.000€ bzw. 16.000€.
Insbesondere bei erstmaligen oder geringfügigen Verstößen hat die Behörde das Prinzip “Beraten vor Strafen” entsprechend zu berücksichtigen, dies wird in den erläuternden Bemerkungen zum BaFG explizit erwähnt.
Die für die Vollziehung des Barrierefreiheitsgesetzes zuständige Behörde (Sozialministeriumservice) bestätigte gegenüber der ISPA, dass allgemein und insbesondere in den ersten 1,5 Jahren nach Inkrafttreten des BaFG mit dem Ausspruch von Verwaltungsstrafen eher restriktiv vorgegangen werden soll und auf die Kooperation der Wirtschaftsakteure gesetzt werden wird. Allerdings weist die Behörde darauf hin, dass bei krassen – auch erstmaligen – Verstößen gegen das BaFG der Ausspruch von Verwaltungsstrafen möglich ist.
Laut Auskunft des Sozialministeriumservice ist die Einrichtung einer Kontaktstelle für Auskünfte betreffend das BaFG bei der Wirtschaftskammer Österreich in Planung. Förderungen hinsichtlich der Umsetzung der neuen Barrierefreiheitsanforderungen sind nicht absehbar.
Die ISPA beschäftigt sich intensiv mit dem Thema der digitalen Barrierefreiheit. Insbesondere durch klärende Gespräche mit der für die Vollziehung des Barrierefreiheitsgesetzes zuständige Behörde (Sozialministeriumservice) und Rückmeldung an ihre Mitglieder möchten wir einen unterstützenden Beitrag zur Umsetzung des BaFG leisten. Konkrete Fragen der Umsetzung sind abschließend mit der zuständigen Behörde bzw. Entscheidungen zu klären.
Artikel FAQ BaFG aus den ISPA-News 01/25